Vom Stillstand zur Befreiung
Vom Stillstand zur Befreiung

Vom Stillstand zur Befreiung

Der Stillstand

Hier und Jetzt… wo befinde ich mich eigentlich? Und: was habe ich schon alles erreicht? Was habe ich erlebt, was hat mich hierher geführt, welche Abenteuer habe ich bereits bestanden? Das sind die Fragen, die das Hexagramm des Stillstandes im I Ching stellt – und nicht: Wo will ich jetzt hin?

In diesem Moment geht es vor allem um das Hier und Jetzt, um unsere sichere Position, das Gefühl, getragen und gehalten zu sein. Es ist wichtig, sich manchmal diesen Status quo bewusst zu machen, denn meist nehmen wir unsere Erfolge fast nur beiläufig zur Kenntnis, während wir gedanklich bereits die nächsten Schritte planen.

Dabei übersehen wir oft wertvolle Ressourcen, die uns bereits zur Verfügung stehen – vor allem unser Selbstwertgefühl, das aus dem Erreichten schöpft. Leider kann dieses Selbstwertgefühl gerade in Zeiten, in denen wir noch nicht alle Ziele erreicht haben, klein erscheinen.

Ist die gegenwärtige Lage so ruhig und unverändert, dass man fast schon von Erstarrung sprechen könnte?  Dies führt häufig zu Grübeleien, Kummer und Sorgen. Um aus dieser Lage herauszukommen, ist es hilfreich, eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen: Was von all dem, was mir Stabilität und Sicherheit bietet, brauche ich wirklich – und was bindet mich nur noch ein?

Oft sind es nämlich Dinge und Verhaltensweisen, die einst wichtig für uns waren, aber ihren Zweck längst erfüllt haben und heute nur noch unnötig im Weg stehen. Das Ergebnis ist eine Umgebung – sowohl im Außen als auch im Inneren – voller überflüssiger Dinge und Gewohnheiten, die ähnlich ungemütlich sind wie eine Wohnung, die mit unnötigen Möbeln vollgestopft ist und in der man kaum noch Platz hat, um sich frei zu bewegen.

Hat man diese Bilanz gezogen und vorsichtig losgelassen, gilt es im nächsten Schritt, diese Erkenntnisse konkret umzusetzen.

 So schafft man Raum für Neues – Raum für Leben, Leidenschaft und authentischen Ausdruck.

In der Stille sein und Loslassen haben leider wenig mit dem populären Aktionismus unserer Zeit zu tun, der ständig nach Aktion verlangt und Unsicherheit oft durch Schnelligkeit überspielt. Vielleicht wäre es manchmal doch ganz hilfreich, sich dem Fluss der Dinge anzuvertrauen und einfach geschehen zu lassen.

Die Befreiung
Zhen oder der Donner steht für eine Entscheidung, die tief aus unserem Inneren entspringt. Es ist vielleicht eine einsame Entscheidung, die nach einer langen Phase des Nachdenkens und Abwägens getroffen wird. Oder eine Entscheidung, die plötzlich und unvermittelt im Raum stand, ganz ungeplant, ohne dass wir sie erwarten konnten. Doch sie ist da – eine Entscheidung, die unserem Wesen entspricht. Eine bedeutende Entscheidung, die in Resonanz mit uns selbst ist, von uns selbst kommt und für uns selbst getroffen wurde.

Es ist eine Entscheidung, die unumkehrbar ist. In der Literatur der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wird Zhen manchmal wie das Aufbrechen einer Knospe im Frühling beschrieben: Ein plötzlicher, überraschender Vorgang, eine Art Umwälzung. Es ist, als wäre ein Schalter mutig und entschlossen umgelegt worden. Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Blüte lässt sich unmöglich wieder in ihre Knospenhülle zurückverwandeln. Mit der Entscheidung, die wir in Zhen getroffen haben, wurde eine grundlegende Veränderung vollzogen. Und damit ist der wichtigste Schritt bereits getan.

Doch wie geht es nun weiter? Ich habe ja gesagt – Ja! zu mir selbst – und bin damit auf den Weg zu mir selbst gemacht. Welche Schritte folgen jetzt?

Lass uns an dieser Stelle an das Gärtnern erinnern: Wenn wir einen Samen in die Erde setzen, ihn bewässern und an einen warmen, sonnigen Ort stellen, dann ist es ratsam, ihn jetzt ruhen zu lassen. Es wäre äußerst kontraproduktiv, täglich die Erde zu durchgraben, nur um zu kontrollieren, ob der Samen bereits gekeimt ist oder anfängt zu wachsen. Besonders in der Anfangsphase besteht die Gefahr, durch unsere Ungeduld die Pflanze zu zerstören.

Genauso ist es klüger, die Dinge jetzt vertrauensvoll geschehen zu lassen. Denn die wichtigsten Schritte haben wir bereits getan – den Samen gepflanzt, die Entscheidung getroffen. Jetzt ist es an der Zeit, Geduld zu haben und das Wachstum auf sich zukommen zu lassen.



Verwendete Karten: I Ching , Das chinesische Orakel für Lebensentscheidungen von Paul O´brien

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